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Der Berichterstattervermerk - Regressfalle für den Anwalt

Rechtsanwalt und Notar Dr. Thomas Doms in MDR 2001, 73

Der Berichterstattervermerk - Regressfalle für den Anwalt


Eine alltägliche Situation im Gerichtssaal: Das Gericht entscheidet - letztinstanzlich - über eine Berufung. Ein oder mehrere Zeugen werden vernommen. Die beteiligten Anwälte erklären ihr Einverständnis mit der Abfassung eines Berichterstattervermerkes anstelle einer förmlichen Protokollierung der Zeugenaussage(n). Was im Einzelnen der Berichterstatter notiert, wissen sie allerdings nicht.
Wie der Anwalt mit dem Berichterstattervermerk zu verfahren hat, wird in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnen, weil nach den Plänen für eine Reform der Zivilgerichtsbarkeit u.a. beabsichtigt ist, den Zivilprozess auf eine Tatsacheninstanz zu beschränken.

I. Die Protokollierung in der Beweisaufnahme

1. Grundsatz: Förmliches Protokoll
Grundsätzlich besteht gem. § 159 ZPO für jede mündliche Verhandlung Protokollzwang. Das gilt auch für die Beweisaufnahme als Teil der mündlichen Verhandlung. Darum sind gem. § 160 Abs. 3 Ziffer 4 ZPO im Protokoll die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und der vernommenen Parteien festzustellen. Mit "feststellen" meint das Gesetz die möglichst wortgetreue Wiedergabe der Aussagen. Thomas/Putzo und Baumbach/Lauterbach.1 empfehlen, zumindest die Kernsätze einer Aussage in direkter Rede wiederzugeben. So ist auch die allgemeine Handhabung.
Die Protokollierung ist in der ZPO sehr genau geregelt vom eigentlichen Aufzeichnungsvorgang (§ 160 ZPO) über die Prüfung (§ 162 ZPO) und die Genehmigung (§ 163 ZPO), die Berichtigung (§ 164 ZPO), bis hin zum Antrag auf Protokollierung bestimmter einzelner Vorgänge (§ 160 Abs. 4 ZPO) und dem Umfang der Beweiskraft des Protokolls (§ 165 ZPO). All diese Regelungen zeigen die außerordentliche Bedeutung des Protokolls für das gerichtliche Verfahren.

2. Ausnahmen zum Protokoll
Eine Erleichterung enthält § 161 ZPO. Danach kann ("brauchen nicht") die förmliche Protokollierung von Zeugenaussagen, Angaben eines Sachverständigen und/oder Erklärungen einer Partei unterbleiben, wenn das in der Sache selbst entscheidende Gericht eine Vernehmung oder den Augenschein durchführt. Weitere Voraussetzung ist, dass gegen das nachfolgende Urteil weder Berufung noch Revision zulässig sind.
Jedoch gilt diese Vorschrift nicht für den beauftragten oder den ersuchten Richter. Diese Richter haben ein förmliches Protokoll zu fertigen auch dann, wenn die weitere Voraussetzung für die Anwendung von § 161 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegeben wären und das Endurteil der Berufung oder Revision nicht unterliegt. Maßgeblich ist nämlich, dass der/die entscheidende Richter einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von den Aussagen und/oder der Örtlichkeit gewinnen.
Gleichfalls ist eine förmliche Protokollierung nicht erforderlich gem. § 161 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO, wenn sich die Parteien verglichen haben oder die Klage zurückgenommen und/oder wenn ein Anerkenntnis abgegeben oder ein Verzicht erklärt wurde. Nach der Interessenlage der Beteiligten wird in diesen Fällen regelmäßig kein Bedürfnis für eine förmliche Protokollierung bestehen, wenn der Prozess nicht durch eine Entscheidung des Gerichts, sondern aufgrund der Parteiherrschaft zu einem Abschluss kommt.

3. Der Berichterstattervermerk
Schon seit langem hat sich die Übung herausgebildet, dass an die Stelle einer förmlichen Protokollierung von Zeugenaussagen die handschriftliche Notiz der Bekundungen eines Zeugen durch den Berichterstatter, also den sachbearbeitenden Richter, tritt. Dieser sog. Berichterstattervermerk bietet erhebliche Verfahrensvorteile, weil gerade umfangreiche Beweisaufnahmen besser zu bewältigen sind. Außerdem fallen Berichterstattervermerke regelmäßig ausführlicher und eingehender aus als förmlich protokollierte Zeugenaussagen.
Zwingend erforderlich bleibt die Protokollierung der Personalien des Zeugen und der sonstigen Voraussetzungen für seine Aussage.

a. Mitteilung des Berichterstattervermerks
Der BGH hat zum Berichterstattervermerk (früher: Aktenvermerk) und seiner Handhabung verschiedene Grundsätze aufgestellt.2 Dabei wird nicht unterschieden danach, ob der Berichterstattervermerk in einem der Revision unterliegenden oder in einem nichtrevisiblen Verfahren gefertigt wurde. Ohne Einfluss bleibt es deshalb, ob das Urteil rechtsmittelfähig ist oder nicht. Stets sind beim Berichterstattervermerk die vom BGH aufgestellten Grundsätze zu wahren. Das gilt auch in Fällen des § 161 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO.3 Was der Berichterstatter von den Bekundungen eines Zeugen oder Sachverständigen notiert und in welcher Form dies geschieht (Stichworte, Kurzschrift usw.) bleibt ihm überlassen. Entscheidendes Gewicht legt der BGH aber darauf, was mit dem Berichterstattervermerk nach dem Termin geschieht, nämlich wie und wann er den Parteien zugänglich gemacht wird. Der Berichterstattervermerk ist in jedem Falle mitzuteilen, weil andernfalls der Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt würde.
Es ist zu unterscheiden danach, ob ein Urteil unmittelbar im Anschluss an die Beweisaufnahme (§ 310 Abs. 1 1.Alt. ZPO) verkündet wird oder ob die Verkündung in einem gesonderten Termin (§ 310 Abs. 1 2.Alt. ZPO) bis zu 3 Wochen nach der letzten mündlichen Verhandlung erfolgt.
Sofortige Urteilsverkündung
- Aus der Natur der Sache heraus folgt, dass bei sofortiger Urteilsverkündung der Berichterstattervermerk nicht mehr zugänglich gemacht werden kann.5 Etwaige Missverständnisse beim Berichterstatter/Gericht werden geklärt, weil aus dem Plädoyer des Anwaltes dessen Verständnis vom Inhalt einer Aussage und dem Ergebnis der Beweisaufnahme erkennbar wird. Das Gericht wird noch in der mündlichen Verhandlung darauf hinweisen, dass es die Aussage anders verstanden hat. Jedoch ist der Berichterstattervermerk, zusammen mit dem vollständig abgefassten Urteil, den Parteien zu übersenden. Sowohl für die obsiegende als auch die unterliegende Partei bestünde andernfalls Gefahr, dass das Revisionsgericht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgeht.6 Enthält der Berichterstattervermerk Unrichtigkeiten oder Missverständnisse, dann kann in entsprechenden Anwendungen der Vorschriften über die Protokollberichtigung (§ 164 ZPO) verfahren werden.
Urteilsverkündung in gesondertem Termin
- Im Fall der Urteilsverkündung im gesonderten Termin hat der BGH bereits 1960 ausgeführt, es sprächen gewichtige Gründe dafür, den Berichterstattervermerk ("die das Ergebnis der Vernehmung enthaltende Aufzeichnung") den Parteien vor dem Verkündungstermin bekannt zu machen, ihnen also eine Abschrift/Reinschrift zugänglich zu machen. Nur so ist es möglich, dass vor der Verkündung Irrtümer oder Missverständnisse aufgeklärt werden können. Bei berechtigten Beanstandungen wird der Anwalt die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragen. Außerdem kann ein Antrag auf Protokollberichtigung gestellt werden, wobei § 164 ZPO und das dortige Verfahren, welches zunächst nur für das förmliche Protokoll gilt, entsprechend auf den Berichterstattervermerk Anwendung finden kann. Gemäß § 156 ZPO kann das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen. Der BGH geht davon aus, dass dies in berechtigten Fällen auch geschieht.7
Eine solche Handhabung bietet die Gewähr dafür, dass die der Urteilsfindung zugrundeliegenden Tatsachen und die Feststellungen dazu nicht von Missverständnissen und Irrtümern des Berichterstatters beeinflusst sind. Maßgeblich ist nach der Rspr. des BGH somit der Schutz aller Verfahrensbeteiligten vor unrichtigen tatsächlichen Feststellungen über das Beweisergebnis.

b. Gefahren beim letztinstanzlichen Verfahren
Gefahr für den Anwalt besteht weniger bei revisiblen Verfahren, sondern dann, wenn das Gericht letztinstanzlich entscheidet. Hier ist die Praxis zum Berichterstattervermerk ganz unterschiedlich. Teilweise wird der Berichterstattervermerk zusammen mit dem Urteil übersandt, manchmal schon vorher und manchmal überhaupt nicht. Als Beleg mögen zunächst zwei Zitate dienen:
"... teile ich mit, dass ein Berichterstattervermerk in diesem Sinne nicht existiert; ich habe mir lediglich handschriftliche Notizen gemacht, die sich auf den Rückseiten des für den Senat bestimmten Votums befinden."
oder: "... wird mitgeteilt, dass ein Berichterstattervermerk keinesfalls bei jeder Beweisaufnahme üblich ist. Es genügt prozessual die Auseinandersetzung mit dem Beweisergebnis in den Entscheidungsgründen."
Bereits diese beiden Beispiele zeigen die erhebliche Gefahr, die für den Anwalt besteht, wenn von einer förmlichen Protokollierung abgesehen und stattdessen ein Berichterstattervermerk gefertigt wird. Die Aufzeichnungen des Berichterstatters werden nämlich wegen des zeitlichen Abstandes zur mündlichen Verhandlung und bei mehreren Beweisterminen gerade in der Beratung ein zunehmend wichtigeres Hilfsmittel sein. Wird der Berichterstattervermerk nicht vor Urteilsverkündung zugänglich gemacht, dann werden die Schwierigkeiten erst zu einem Zeitpunkt offenkundig, zu welchem eine Einwirkungsmöglichkeit nicht mehr besteht. Es sind Irrtümer oder Missverständnisse möglich, weil der Berichterstatter eine Bemerkung des Zeugen nicht aufgeschrieben oder missverstanden hat. Solche Missverständnisse sind auch nicht dadurch auszuschließen, dass über das Beweisergebnis im Anschluss an die Beweisaufnahme verhandelt wird (übliche Eintragung im Protokoll: "Die Parteien verhandeln mit den bisherigen Anträgen streitig zur Sache und zum Ergebnis der Beweisaufnahme").
Sicherlich lässt sich die Gefahr von Missverständnissen nie ausschließen. Daraus kann dem Anwalt auch kein Vorwurf entstehen, wenn Erklärungen eines Zeugen vom Gericht falsch gedeutet werden. Ein Vorwurf trifft den Anwalt allerdings dann, wenn er nicht den "sichersten Weg" gewählt hat. Der Anwalt muss sich stets für eine prozessuale Vorgehensweise entscheiden, die die bestmögliche Gewähr bietet, um gerade aus Missverständnissen folgende Fehler auszuschließen.
Wird eine Zeugenaussage förmlich protokolliert, dann treten Missverständnisse schon während der Beweisaufnahme zu Tage. Der Anwalt kann sofort eingreifen. Eine solche Möglichkeit besteht bei der Fertigung eines Berichterstattervermerks jedoch nur dann, wenn der Berichterstattervermerk - so wie vom BGH gefordert - noch vor dem Verkündungstermin (zweckmäßigerweise zusammen mit dem Terminsprotokoll) den Parteien zugänglich gemacht wird.

II. Konsequenzen für die Praxis

Der Anwalt hat, wenn er sich mit einem Berichterstattervermerk einverstanden erklärt, darauf zu achten, dass die Grundsätze der Rspr. des BGH eingehalten werden. Darum muss er dafür Sorge tragen, dass der Berichterstattervermerk noch vor dem Verkündungstermin den Beteiligten vorliegt.
Werden durch einen Prozess erhebliche wirtschaftliche Belange berührt oder besteht die Möglichkeit von Aussagedelikten, dann sollte der Anwalt auf eine formelle Protokollierung der Zeugenaussagen dringen. Das kann sich, je nach Sachlage, auch dann empfehlen, wenn beispielsweise Zeugen, deren Aussagen für ein Verfahren von entscheidender Bedeutung sind, ihrerseits am Ausgang des Verfahrens mittelbar oder unmittelbar (etwa weil sie Familienangehörige sind) ein Interesse haben. Regelmäßig wird das Gericht in einer solchen Situation bereits von sich aus die förmliche Protokollierung veranlassen und sich einer entsprechenden Bitte der Beteiligten nicht verschließen.
Wenn ein Berichterstattervermerk gefertigt wird, dann muss der Anwalt verlangen, dass ihm dieser Berichterstattervermerk vor dem Verkündungstermin zugänglich gemacht wird, so dass ggf. eine Stellungnahme noch möglich ist. Der bei allen prozessualen Handlungen vom Anwalt verlangte "sicherste Weg" kann es deshalb erforderlich machen, dass der Anwalt förmlich zu Protokoll erklärt (§ 160, IV ZPO), er wolle den Berichterstattervermerk noch vor dem Verkündungstermin erhalten.
Fazit:
Abschließend ist zur Klarstellung zu sagen, dass die Zweckmäßigkeit und die Vorteile eines Berichterstattervermerkes unbestreitbar sind. Jedoch muss sich der Anwalt stets bewusst sein, welche Gefahr damit verbunden ist und wie er sich im Interesse des Mandanten und damit gleichzeitig zur Vermeidung von Regressfällen verhält.

Fußnoten:

1) Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 57.Aufl 1999, § 160 Rz. 11; Reichold in Thomas/Putzo, 22.Aufl. 1999, § 160 Rz. 6; Unumgänglich ist die wörtliche Wiedergabe bei der Beeidigung eines Zeugen, Sachverständigen oder einer Partei (vgl. Zöller, 20.Aufl. 1997, § 160 Rz. 8).

2) Häufiger genannt wird eine nicht veröffentlichte Entscheidung des BGH (BGH, Urt. v. 16.1.1957 - IV ZR 82/55). Die in diesem Zusammenhang interessierende Passage des Urteils lautet: "Die Frage aber, ob die bei Anwendung des § 161 ZPO erforderliche Wiedergabe des Beweisergebnisses im Urteil durch eine Bezugnahme auf den Inhalt einer Aufzeichnung des Berichterstatters ersetzt werden könne, ist ... (folgen Zitate) von der h.M. bejaht worden. Auch der BGH hat sich dem angeschlossen. Allerdings wird dabei für den Regelfall vorausgesetzt, dass die das Beweisergebnis enthaltende Aufzeichnung den Parteien rechtzeitig vor der Urteilsfällung mitgeteilt worden ist. Sie müssen Abschriften davon erhalten, damit sie in der Lage sind, den Inhalt des Schriftstückes bei ihrem mündlichen Vortrag in der Schlussverhandlung zu verwerten".

3) BGH v. 29.11.1988 - VI ZR 231/87, VersR 1989, 189; v. 18.9.1986 - I ZR 179/84, MDR 1987, 209 = NJW 1987, 1200.

4) BGH, Urt. v. 5.7.1972 - VIII ZR 157/71, MDR 1973, 132 = NJW 1972, 1673; MünchKomm/ZPO, 1992, § 161 Rz. 8; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 57.Aufl. 1999, § 161 Rz. 6 m.w.N.

5) BGH, ZZP, 71.Bd, 104 [105]; v. 24.10.1990 - XII ZR 101/89, MDR 1991, 343 = FamRZ 1991, 43 [45].

6) Vgl. Mezger, NJW 1961, 1701 ff. [1703].

7) BGH LM § 554 ZPO, Nr. 23.

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