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Veröffentlichungen Dr. Doms

Rechtsanwalt und Notar Dr. Thomas Doms in MDR 1991, 498

"Es wird alles bestritten"

Oftmals entwickeln sich aus kleinsten Anfängen heraus (etwa einer 2seitigen, schlüssigen Klagebegründung) vielbändige "Gürteltiere" (mehrbändige, schwere Akten werden mit Aktengurten zusammengehalten - daher der Name). Umfangreiche Schriftsätze und auch entfernteste Vorgänge vertiefender Vortrag lassen die Akten anschwellen. Es kommt hinzu, daß sich im Verlauf eines Prozesses regelmäßig nicht von vornherein erkennen und trennen läßt, was vom Vortrag der Parteien das Gericht für seine Entscheidung letztendlich für bedeutungsvoll hält und was nicht. Oftmals geraten Prozesse auch auf "Nebengleise", es wird mithin zu Sachverhalten vorgetragen und Beweis angetreten, auf welche es im Ergebnis nicht ankommt (wie dann das Urteil zeigt). Ist ein solcher Nebensachverhalt aber vorgetragen, so bleibt dem jeweiligen Prozeßgegner nichts übrig, als dazu Stellung zu nehmen. Dies gerade dann, wenn der Vortrag, wie häufig, dahin zielt, das Gericht gefühlsmäßig für die Partei einzunehmen. Hier darf beispielsweise der Einfluß der längst verstorbenen Großmutter auf das "prozeßrelevante" Tun und Handeln der jeweiligen Gegenseite nicht unterschätzt werden, was schriftsätzlichen Vortrag und Beweisangebote dazu unumgänglich macht.
Das Gericht hat dann den gesamten Vortrag einer Partei zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Weil nicht voraussehbar ist, ob und ggf. wie der gegnerische Vortrag das Gericht beeinflußt, muß dazu im einzelnen vorgetragen werden, auch wenn ein unmittelbarer Sachzusammenhang mit dem erhobenen Anspruch nur schwer ersichtlich ist1. Spätestens dann ist der Moment gekommen, wo mit den unterschiedlichsten sprachlichen Formulierungen alles bestritten wird.
Mit diesem "Es wird alles bestritten" befaßt sich der nachfolgende Beitrag. Es geht also nicht allgemein um Fragen des Bestreitens im Zivilprozeß, sondern nur um eine bestimmte Art und Weise des Bestreitens, welche mit den unterschiedlichsten Formulierungen in den allermeisten Zivilprozessen zu finden ist.

I.
Zur Verdeutlichung nachfolgend einige Beispiele aus Schriftsätzen.
Gerne wird folgende Formulierung gebraucht:
"Sämtliche Behauptungen der Klägerin werden bestritten, soweit sie nicht ausdrücklich zugestanden sind."
Oder (in diesem Falle am Schluß einer 30seitigen Klageerwiderung):
"Im übrigen wird der gegnerische Vortrag bestritten, soweit er nicht ausdrücklich zugestanden worden ist."
Häufig anzutreffen ist der Vortrag:
"... bestreiten wir den Vortrag der Gegenseite, soweit er von unserem Vorbringen abweicht."
Es geht allerdings auch kürzer:
"Bestritten bleibt ohnehin alles, was die Beklagte vorträgt."
An Deutlichkeit nichts zu wünschen läßt solcher Vortrag:
"Der Kläger irrt sich; er denkt falsch und seine Argumente sind auch falsch. Sein Gesamtvortrag wird bestritten."
Oder:
"Sämtlicher Vortrag des Antragstellers, der vom bisherigen Vorbringen der Antragsgegnerin abweicht, ist und bleibt falsch."
Ein letztes Aufbegehren:
"Der Vortrag des Beklagten stimmt einfach nicht. Ich bestreite ihn."
Auch die Berufungsinstanz kennt den Vortrag "Es wird alles bestritten", dort allerdings regelmäßig in Verbindung mit der pauschalen Bezugnahme2, etwa:
"Ergänzend wiederhole ich das gesamte erstinstanzliche Vorbringen des Beklagten nach Maßgabe dieser Berufungsbegründung und bestreite auch weiterhin sämtlichen Vortrag der Kläger, der vom Vorbringen des Beklagten abweicht."
Oder (etwas kunstvoller):
"Wir wiederholen im übrigen das gesamte erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin nebst sämtlichen Beweisantritten. Alle davon abweichenden, nicht berührten und nicht ausdrücklich als richtig zugestandenen Behauptungen der Beklagten werden bestritten."
Sicherlich als Erleichterung ("multiple choice"!) gemeint war folgender Vortrag:
"Das erst- und zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten bleibt und/oder wird in allen Punkten bestritten, wenn und/oder soweit es nicht ausnahmsweise in einem einzelnen Punkt ausdrücklich als zutreffend bezeichnet worden ist oder werden sollte."
Diese Beispiele stammen aus Verfahren, in welchen umfangreich von den Parteien vorgetragen worden war. Das "Es wird alles bestritten" ist also durchweg nicht der einzige Vortrag einer Partei, sondern findet sich regelmäßig dann, wenn umfangreich vorgetragen worden ist zu gegnerischem Vorbringen. Es soll - vordergründig - letzte Klarheit geschaffen werden darüber, daß das gegnerische Vorbringen den Anspruch/die Verteidigung nicht tragen wird.
Eine gewisse Häufung des "Es wird alles bestritten" ist aber auch festzustellen, wenn zwar kurze und knappe Schriftsätze eingereicht werden, jedoch erst zu einem relativ späten Zeitpunkt Termin bestimmt ist und die Parteien die Zwischenzeit mit Schriftsätzen "überbrücken" (vielleicht deshalb, damit der Fall nicht in Vergessenheit gerät?).

II.
1. Als Bestreiten ist - im weitesten Sinne verstanden - jeder Vortrag im Prozeß zu verstehen, der darauf abzielt, die gegnerischen Behauptungen zu Fall zu bringen und dem eigenen Vortrag zum Erfolg zu verhelfen. Dabei ist Bestreiten nicht nur der Vortrag eines anderen Sachverhaltes, sondern kann auch das bloße Leugnen eines Klageanspruches sein (z. B. das Bestreiten der Hingabe einer Darlehenssumme). Beachtlich ist im Rechtsstreit aber nur ein substantiiertes Bestreiten, also die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Vorbringen. Das ist auch das zulässige Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 IV ZPO), weil es die Prüfung voraussetzt, ob ein bestimmter Vorgang sich im Wahrnehmungsbereich einer Partei abgespielt hat oder nicht. Folglich ist der pauschale Vortrag "Es wird alles bestritten" kein substantiiertes Bestreiten. Er ist unerheblich und es wird das gegnerische Vorbringen insoweit als zutreffend angesehen. Baumbach sagt dazu in einer frühen Auflage (1933) seines ZPO-Kommentares3:
"Regelmäßig folgt aus der Förderungspflicht die Notwendigkeit substantiierten Bestreitens, d. h. der Entgegensetzung einer positiven Erklärung. Das gilt besonders vom Bestreiten 'des gesamten Vorbringens' oder aller Posten einer Rechnung."
Hoche führt in seinem Lehrbuch für Zivilprozeßrecht (1961)4 aus:
"Die allgemeine, sehr beliebte Anwendung in den Schriftsätzen 'Alles nicht ausdrücklich Zugestandene wird bestritten' ist kein ordnungsgemäßes Bestreiten."
Aus jüngerer Zeit seien als Beispiel zitiert Furtner (1974)5:
"..., dann vermag dieses Bestreiten ebenfalls nicht die Wirkung des § 138 Abs. 3 ZPO zu beseitigen. Gleiches wird dann gelten, wenn der Beklagte 'das gesamte Klagevorbringen' bestreitet, obwohl nach der Sachlage offensichtlich ist, daß er dies lediglich deshalb tut, um die Rechtsfindung zu erschweren."
und Schellhammer (1984)6:
"Schlichtes Bestreiten, das in der Klageerwiderung noch genügen mag, kann im weiteren Prozeßverlauf unbeachtlich werden, wenn der Kläger den streitigen Vortrag inzwischen in allen Einzelheiten beschrieben hat. Jetzt darf man auch vom Beklagten eine präzise Stellungnahme erwarten. Erfüllt er diese Erwartung nicht, ist sein Bestreiten prozessual unwirksam, der Klagevortrag nach § 138 III unstreitig. Deshalb sind auch die unausrottbaren stereotypen Leerformeln in den Schriftsätzen 'Der Klageanspruch wird nach Grund und Höhe bestritten' oder 'Was nicht ausdrücklich zugestanden wird, wird bestritten' in aller Regel wertlos."
An der Beliebtheit des "Es wird alles bestritten" hat sich in den ganzen Jahren nichts geändert. Aber auch nichts daran, daß diese Formulierung als Bestreiten nicht ausreichend ist. Mehr zu sagen bedarf es nicht.

2. Trotzdem sollte man das "Es wird alles bestritten" in seinen vielfältigen Erscheinungsformen nicht als Beispiele aus dem Schatzkästlein der anwaltlichen Formulierungskunst abtun.
Wie kommt es, daß seit Juristengenerationen dieses "Es wird alles bestritten" immer noch rege Anwendung findet? Hier von einem überkommenen Brauch ("Anwälte bestreiten halt alles") zu sprechen, ist sicherlich als Erklärung nicht ausreichend, weil "Es wird alles bestritten" fast nur als Zusatz zu umfangreichem und eingehendem schriftsätzlichem Vortrag erscheint.
Der Gedanke liegt nahe (ohne ihn allerdings durch eine ins einzelne gehende Rechtsdiskussion über Gebühr aufwerten zu wollen), daß hier nicht "bestritten" werden soll, sondern es sich in Wahrheit um einen Appell an die richterliche Hinweispflicht handelt. Hierzu Beispiele aus Verfahren, in welchen sehr umfangreich und eingehend zur Sache vorgetragen worden war:
"... um zu verdeutlichen, daß wirklich alles nicht ausdrücklich zugestandene Vorbringen der Klägerin als bestritten zu behandeln ist, auch soweit es sich um Details handelt, die von der Beklagten für unerheblich gehalten werden oder übersehen worden sein könnten."
und
"In Sachen ... nehme ich zum Schriftsatz des Klägers vom ... Stellung wie folgt, wobei ich bemerke, daß der gesamte Vortrag des Klägers als bestritten gelten soll, soweit er nicht ausdrücklich zugestanden wird. Dies schicke ich deshalb den nachfolgenden Ausführungen voran, weil eben teilweise der Sachverhalt falsch geschildert ist und die Gefahr besteht, daß nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden kann."
oder:
"Es werden alle Tatsachenbehauptungen der Klägerin bestritten, soweit sie nicht ausdrücklich zugestanden sind. Dies möge das Gericht bitte aus dem bisherigen Vortrag des Beklagten und den nachfolgenden Erklärungen im einzelnen entnehmen, da der Umfang des Schriftsatzes der Klägerin die Gefahr in sich birgt, es könnte eine einzelne Tatsachenbehauptung übersehen werden."
Nach § 139 I ZPO7 soll das Gericht durch konkrete Hinweise darauf hinwirken, daß - so der Gesetzestext - die Parteien über alle erheblichen Tatsachen sich vollständig erklären. Diese Hinweispflicht gilt gleichermaßen im von den Parteien selbst geführten (amts-)gerichtlichen Verfahren wie im Anwaltsprozeß. Damit wird dem Gericht nicht aufgegeben, für die eine oder andere Partei den Prozeß zu "führen". Vielmehr soll, und das ist Sinn und Zweck des richterlichen Hinweises gem. § 139 I ZPO, für die Parteien die Rechtsauffassung des Gerichts deutlich werden. Damit soll erreicht werden, daß eine umfassende Aufklärung des Falles aus tatsächlicher und rechtlicher Sicht erfolgt. Denn nur aufgrund eines richterlichen Hinweises ist es der Partei und ihrem Anwalt möglich zu erkennen, ob der Sachverhalt so vorgetragen und dargestellt wurde, daß das Gericht daraus die erstrebte Rechtsfolge, sei es Verurteilung, sei es Klageabweisung (ggf. nach vorheriger Beweisaufnahme) herleiten kann. Der richterliche Hinweis führt gleichzeitig dazu, daß sich frühzeitig die Spreu vom Weizen trennt, mithin seitenfüllender Vortrag zu "Nebensachverhalten" unterbleibt.
Wenn also "alles bestritten" wird, ist damit, entgegen dem äußeren Wortlaut, ein Appell an die richterliche Hinweispflicht gemeint. Die Auslegung - die auch bei rein prozessualen Erklärungen möglich ist -8 ergibt somit, daß das "Es wird alles bestritten" als ein Appell an die richterliche Hinweispflicht zu verstehen ist. Dafür allerdings sollte sich eine andere Formulierung finden lassen als das stereotype und schon seit Juristengenerationen überkommene "Es wird alles bestritten".

3. Der Verfasser ist sich bewußt, daß das Ergebnis zwiespältig ist. Auf der einen Seite ist ein relevantes Bestreiten nicht gegeben, auf der anderen Seite soll eine "Leerformel" doch das Gericht zu einem sehr wichtigen Schritt, dem richterlichen Hinweis, veranlassen. Tatsache aber ist, daß in nahezu jedem Zivilprozeß das "Es wird alles bestritten" früher oder später vorgetragen wird, ohne daß darin von vornherein ein Fall anwaltlicher Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit zu sehen wäre.

Fußnoten:

1) Vgl. dazu BVerfG NJW 1987, 485 und BGH NJW 1986, 659.

2) Vgl. insoweit Lange, NJW 1989, 438.

3) Baumbach, ZPO, 7. Aufl. 1933, § 138 Anm. 2.

4) Hoche, 2. Aufl. 1961, S. 229 (dort Anm. 239).

5) Das Urteil im Zivilprozeß, 3. Aufl. 1974, § 329.

6) Zivilprozeß, 2. Aufl. 1984, Rdnr. 381 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1962, 1394.

7) Eine sehr eingehende Darstellung zu § 139 ZPO gibt, aus zivilprozessualer und aus verfassungsrechtlicher Sicht, die Entscheidung OLG Schleswig, NJW 1986, 3146 m. w. N.

8) Vgl. BGH NJW 1988, 128.

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